Ökumenischer Gottesdienst zum Bibelsonntag am 6. Sonntag im Jahreskreis bzw. 3. Sonntag vor der Passionszeit 2019, 17. Februar, 11 Uhr, Kirche St. Maria, Königin des Friedens.

Ökumenischer Gottesdienst zum Bibelsonntag am 6. Sonntag im Jahreskreis bzw. 3. Sonntag vor der Passionszeit 2019, 17. Februar, 11 Uhr, Kirche St. Maria, Königin des Friedens.

Text: Philipper 2, 1-11

Liebe ökumenische Gemeinde,

eben haben wir im Lukasevangelium (Lk 22, 24-27) gehört, wie es normalerweise auf dieser Welt zugeht. Ein jeder schaut danach, dass er es zu etwas bringt, dass er bzw. sie Erfolg hat, sich behauptet, durchsetzt. In Schule, Sportverein, Ausbildung und Beruf. Das ist das Übliche, das ist das, was von uns allen erwartet wird. Dass wir es zu etwas bringen, dass wir vorne dran sind, ein bisschen schneller, gescheiter, erfolgreicher, schöner, stärker als die anderen.

Die Jünger Jesu, erzählt uns Lukas, bilden da keine Ausnahme. Auch sie fragen sich: Wer von uns kommt am besten rüber, wer ist Jesus am nächsten, wer in der Hierarchie am weitesten oben?

Diese Frage stellen sie sich, als sie mit Jesus kurz vor seinem Tod am Abendmahlstisch sitzen. Also nicht am Anfang des Weges mit Jesus, sondern fast am Ende.  Und ich stelle mir vor, dass Jesus darüber einigermaßen verzweifelt sein könnte, nachdem sie so lange schon mit ihm unterwegs waren. Haben sie denn gar nichts gelernt von mir? könnte er sich fragen. Haben sie denn kein bisschen davon begriffen, dass ich ihnen etwas ganz anderes vorlebe?

Und gibt ihnen darum die Antwort:

Wer nach mir fragt und mir gleich sein will, der muss nach unten schauen. Ganz nach unten, wo keiner sein will. Sozusagen in der untersten Kaste, da, wo die Diener sind, da bin ich zu finden. Wer mir nachfolgen will und es damit ernst meint, der braucht ein neues Muster für sein Leben.

Liebe Gemeinde,

ich bin mir im Klaren darüber, dass es zu einfach wäre, wenn ich behaupten würde, die Gruppe der 12 Jünger wäre identisch mit der Kirche, mit der immer größer gewordenen, letztlich weltweiten Bewegung, die nach der Auferstehung Jesu seine Liebesbotschaft und dieses göttliche Wunder der Überwindung des Todes überall bezeugt hat.

Hier einfach ein Gleichheitszeichen zu setzen (Jünger gleich Kirche) wäre wohl so nicht richtig. Da fehlen auf jeden Fall schon mal die Frauen, es fehlt auch noch der Tod, den Jesus stirbt, es fehlt seine Auferstehung. Der ganze Christus ist noch nicht sichtbar, sein Leib, die Kirche, ist noch nicht vollständig abgebildet.

Aber wobei ich mir sehr sicher bin, ist, dass genau diese Umkehrung der Hierarchie, für die Jesus hier einsteht und die im Neuen Testament überall gepriesen und gefeiert wird, dass diese sich in den christlichen Gemeinden, in den christlichen Kirchen NICHT durchgesetzt hat.

Die Blickrichtung ist fast immer und fast überall nach oben gegangen. Egal von welcher Konfession wir reden. Denn oben ist ja Gott. Oben sein Thron. Oben seine Pracht. Und darum auch oben die, die ihm dienen. Die Priester, die Pfarrer, - ich lasse hier die weibliche Form absichtlich weg, weil das angesichts der kurzen Geschichte von Frauen im evangelischen Pfarramt ungerecht wäre - erst recht die Bischöfe und Kardinäle, der jeweilige Papst. Immer geht der Blick der Christinnen und Christen nach oben. Darum sind auch die Kirchen in der Regel prächtige, himmlisch anmutende Gebäude. Sie sollten etwas abbilden von Gott und seiner Herrlichkeit. Klar, wer kann das nicht verstehen? Wer will schon ein armseliges Haus bauen und sagen: Darin wohnt Gott, das habe ich ihm geweiht!?

Und weil also die Gemeinden und damit die Kirchen immer nach oben geschaut haben, haben sie sich auch nicht davor gescheut, ihre gute Nachricht von Gottes Liebe in seinem Sohn mit Macht und Gewalt durchzusetzen. Wer nicht von der Liebe Gottes nichts hören wollte, bekam das oft genug schmerzlich zu spüren. Zurecht mutet uns das heute grotesk an. Als wenn man Liebe mit gewaltsamen Mitteln unter die Menschen bringen könnte.

Dabei hatte doch Jesus gesagt:

Ihr müsst mich unten suchen. Euer Blick geht in die falsche Richtung. Mein Reich ist nicht von dieser Welt, es hat ein anderes Muster. Es glänzt nicht, zumindest nicht äußerlich. Es sind auch nicht unbedingt die besonderen und wichtigen Menschen darin zu finden, die man in der Regel dort erwarten würde. Denn ich bin zu den Kranken gerufen, nicht zu den Gesunden, ich bin zu den Sündern gerufen, nicht zu den Gerechten.  

Und darum haben wir, als wir nun in den letzten Wochen miteinander den Anfang des Philipperbriefes lasen in überschaubaren Gruppen, nicht in großen Mengen, genau diese Entdeckung gemacht:

Jesus steht unten. Und die ihm dienen auch. Doch das macht sie nur äußerlich klein, die Gemeinden nur äußerlich bescheiden. Tatsächlich leuchtet aus ihnen ein helles Licht.

Ich lese aus dem Anfang des 2. Kapitels des Philipperbriefes:

Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid. Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem anderen dient. Seid unter euch so gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:

 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der HERR ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Liebe Gemeinde,

Paulus erklärt uns das kleine Einmaleins der Kirche. Was macht eine christliche Gemeinschaft aus?

Ermahnung in Christus, Trost der Liebe, Gemeinschaft des Geistes, herzliche Liebe und Barmherzigkeit, das sind die wichtigen Dinge, das ist der wesentliche Kern einer Gemeinde, einer Kirche.   

Da steht nichts von einer bestimmten Form des Gottesdienstes, von Glaubenslehren und Bekenntnissen, nichts von Ämtern, die jemand ausüben soll, nichts von Sakramenten, es ist von keiner Struktur die Rede, die in einer Kirche zu sein hat. Natürlich hat es diese Dinge nach menschlichen Maßstäben irgendwann gebraucht, denn der Blick ging ja immer nach oben, man fragte wie in anderen Systemen auch nach Leitung und Lenkung.  

Was man dabei jedoch übersehen hat: Man wollte mit menschlichen Mitteln die göttliche Macht und Bedeutung Jesu bewahren. Und hat sich dazu Hilfsmittel erschaffen, die das gewährleisten sollten, Ämter, Glaubenssätze, Ordnungen usw.

Doch das Problem schon in der fortschreitenden Kirchengeschichte war nun, dass diese menschlichen Hilfsmittel im Laufe der Zeit wichtiger wurden als der wesentliche Kern, was zur Folge hatte, dass man den Kern vergaß und sich über die Hilfsmittel stritt. Das Ergebnis ist die sich früh anbahnende Trennung und Spaltung der Gemeinden und der Kirche, weil man sich über Detailfragen zerstritt, statt das Wesentliche zu bewahren. Auch das Nationale, das Regionale gewann bald die Oberhand über den inneren Kern, vor allem über den Blick nach unten, auf Christus hin. 

Statt sich also zu fragen, wie man einander in Christus ermahnt, wie man einander den Trost der Liebe gibt, wie man miteinander in der Gemeinschaft des Geistes lebt und herzliche, nicht nur scheinbare Liebe und Barmherzigkeit ausübt und bewahrt, hat man sich fast nur noch die Frage gestellt:

Halten wir die Ordnungen ein, bewahren wir die Formen – und vor allem: achten die anderen Gemeinden auf sie – oder gehen sie möglicherweise einen eigensinnigen Weg, den man aus der sich selbst zugestandenen Autorität heraus verurteilen sollte? 

Tja, und schon war er weg, der Geist Jesu. Schon war das verschwunden, wofür man doch eigentlich angetreten war.

Denn wenn es uns um Eigennutz und eitle Ehre geht, schreibt Paulus uns bis heute ins Stammbuch, wenn wir immer nur auf das Unsere schauen und danach fragen, wie wir größer werden, an Bedeutung gewinnen können, dann sind wir schon wieder auf dem Holzweg.

Kirche gelingt nicht, wo sie sich ängstlich oder überheblich um ihren Bestand sorgt, sondern nur, wo sie zuversichtlich und anspruchslos auf Christus schaut. Nur da ist sie ganz bei sich und ihrer Bestimmung – und darum auch nur da ganz bei Trost.

In der Vesperkirche etwa, im Hospizdienst, in der Seelsorge, beim Krankenbesuch, im freimütigen Teilen von Jesu Leib und Blut,

im Bekenntnis der eigenen Fehlerhaftigkeit,

im Eintreten für die Gleichwertigkeit und der Chancengleichheit von Mann und Frau, von Einheimischen und Ausländern,

in der freien Annahme derer, die moralisch zweifelhaft erscheinen, weil man selbst auch seine Defizite in der Rechtschaffenheit hat,

in Achtung der Würde jedes Menschen, von der Liebe für die Ungeborenen über die Begleitung der in eine Krise Geratenen bis zur Fürsorge für die Sterbenden,

im fröhlichen Miteinander mit Kindern und im fairen und verantwortlichen Umgang mit Jugendlichen,

in der Befürwortung der auf Beständigkeit und Verantwortung angelegten menschlichen Partnerschaften, ---

aber auch im Widerstand gegen jede Form von Missbrauch von Macht, von sogenannter Liebe, die nur mir selbst dient,

im Widerstand gegen Ausbeutung und Wucher, gegen Ausgrenzung von Minderheiten, gegen die Zerstörung der Mitwelt, der notwendigen Lebensräume für Pflanzen und Tiere,

gegen die industrielle Haltung und aus niederen Beweggründen vollzogene Jagd von Tieren,

gegen den leichtfertigen Bruch des Generationenvertrages und vieles mehr. --

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Seien wir doch, schreibt Paulus weiter, so gesinnt wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:

Er hielt an seiner Göttlichkeit nicht wie an einer Beute, einem Glücksfund fest, sondern gab sie freiwillig her, entledigte sich ihr und war wie ein ganz normaler Mensch unter uns, obwohl er doch göttlichen Ursprungs war und schon vor aller Zeit gewesen ist, wie Paulus etwa im Kolosserbrief schreibt.

Christus hat sich ganz nach unten begeben, bis es tiefer nicht mehr ging, bis in den Tod am Kreuz, bis in den Fluchtod am Balken seiner Feinde.

Und wenn wir das so machen wie er, wenn wir nicht deswegen Kirche sind, weil wir dann nach oben kommen, weil wir dann etwas gelten, sondern weil wir an Jesu Seite und an seiner Stelle stehen, weil wir seinen Weg der Liebe und Demut auf uns nehmen, dann haben wir auch Anteil an seiner Erhöhung, an seinem Namen, der über alle Namen ist und gemeinsam mit anderen bekennen, dass Jesus der HERR ist zur Ehre Gottes des Vaters.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen,

diese Worte sind die Worte eines freien, eines hoffnungsvollen Menschen.

Das erstaunt uns umso mehr, als Paulus diesen Brief als Gefangener schreibt. Doch wenn wir verstanden haben, dass er mit Christus diesen Weg nach unten gegangen ist, dann muss es uns nicht mehr verwundern. Dann weiß er erst recht, dass dies der beste Platz ist, den es für ihn geben kann. Dann können ihm weder Tod noch Leben, weder Hohes noch Tiefes, weder Engel noch Mächte noch Gewalten irgendetwas anhaben.

Was sollte ihm auch blühen, das Christus nicht selbst schon erlitten hatte?

Und ich finde, wenn wir das hören und ins uns aufnehmen, umsetzen, leben, dann sollte uns nicht bange sein um die Kirche heute. Dann müssen wir nicht nach ihrer Bedeutung fragen, weil wir ihr selbst die Bedeutung geben, die sie braucht.

Das Besondere dabei: Wir geben ihr grade dann die richtige Bedeutung, wenn wir nicht nach dieser Bedeutung fragen. Sondern einfach im Geiste Jesu leben und handeln.

Ich möchte ihnen zu dem Gesagten abschließend ein kleines Beispiel geben:

Kurz vor Weihnachten erhielt ich einen Bildband aus der Schweiz, aus St. Gallen, von Hildegard Aepli, die dort als Pastoralassistentin in der katholischen Kirche mitarbeitet. Ich hatte sie auf meinem Pilgerweg nach Rom als Gesprächspartnerin kennengelernt. Damals schon erzählte sie von ihren Plänen, im Frühsommer 2016 einen Pilgerweg für eine Kirche mit *den Frauen zu veranstalten, und zwar von St. Gallen nach Rom. Und von diesem besonderen Weg handelt der Bildband, den sie mir nun ganz überraschend zuschickte. Beim Aufbruch der achtköpfigen Kerngruppe gingen mehr als 200 Menschen die erste Etappe begleitend mit. Jeden weiteren Tag schlossen sich dann einzelne Frauen an, für kurze oder längere Zeit, auch Männer waren dabei. Es war eine große Sache mit einer wichtigen Botschaft: Frauen sollen bei den Ämtern der Kirche ihre Zugangsberechtigung finden, denn sie sind ein unverzichtbarer Teil der Kirche. Diese Botschaft wurde bis in den Vatikan getragen – dort dann ein großer Gottesdienst zum Abschluss gefeiert.

Das hat mich sehr beeindruckt – dieser Mut, dieser Schwung, dieses Eintreten für ein großes Ziel. Das könnte uns ein Beispiel sein dafür, wie Kirche sich wirklich von unten her aufbaut, nicht von oben, eben ganz im Sinne Jesu.

Amen.

 

 

 

 

Fürbitten:

Allmächtiger Gott, in Jesus Christus hast du dich deiner Allmacht beraubt und bist den Weg nach unten gegangen.  Lass uns diese Machtlosigkeit ohne Angst riskieren, diese Schwäche ohne Sorge.

Wir bitten dich: Erhöre uns.

Unerreichbarer Gott, in Jesus Christus hast du dich unter uns Menschen begeben und dich anschaulich und berührbar gezeigt. Lass uns auf diesen Jesus schauen, wenn wir dich in den Tiefen unseres Lebens nicht begreifen und nicht verstehen können.

Wir bitten dich: Erhöre uns.

Jesus Christus, danke, dass du die Religion ganz neu begründet hast unter uns. Nicht mehr hinter dem Buchstaben sollen wir uns verstecken, sondern freie Schritte der Zuwendung, der Vergebung, der echten Gemeinschaft tun. Gib uns dazu den Willen und das Gelingen.

Wir bitten dich: Erhöre uns.

Heiliger Geist, wenn wir über dich diskutieren und dich in unsere Vorstellungen zwängen wollen, bleibst du fern und schwer verständlich. Lass uns stattdessen lieben und handeln in Jesu Namen, damit wir deine heilsame und ermutigende Wirkung spüren.

Wir bitten dich: Erhöre uns.

Heiliger Geist, noch immer sind die Konfessionen getrennt, noch immer ist keine volle Gemeinschaft beim Heiligen Abendmahl, noch immer gibt es Menschen, die nicht das Einmaleins der Kirche, sondern die Hilfsmittel zu ihrer Sicherung preisen. Lass Veränderung einkehren in Herzen und Köpfen.

Wir bitten dich: Erhöre uns.

Jesus Christus, begleite und segne alle Christinnen und Christen am heutigen Sonntag und in der kommenden Woche. Lass uns gute Worte und liebevolle Gesten üben.

Wir bitten dich: Erhöre uns.